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Weihnachten 20

Es fällt wirklich schwer, am Ende des Jahres 2020 „fröhliche“ und „gesunde“ Weihnachten zu wünschen, ohne sogleich mit der Besonderheit dieses Jahres gedanklich konfrontiert zu sein. Sicherlich kann in den bedrückendsten Zeiten ein wenig Sorglosigkeit und Erholung eintreten. In seiner Seele wird heute jedoch kaum jemand ohne den Funken einer Sorge in die Weihnachtstage und Rauhnächte starten können.

Die besondere Bedeutung der Zeit „zwischen den Jahren“ wurde von vielen weisen Menschen hervorgehoben. Bei ruhiger Betrachtung wird einem wohl selbst bewusst, wie sehr dieser Zeitraum aus der üblichen Betriebsamkeit herausgenommen ist. Es kommt in unseren Breiten alles zum Ruhen, der Mensch zieht sich zurück und ist mehr als sonst auf sich selbst zurückgeworfen. Das kann als Bedrohung empfunden werden, als dementsprechender Aufruf, möglichst viel an Zerstreuung zu suchen, aber auch als Raum und Möglichkeit, Begegnung zu suchen, sie mit gewählten Inhalten zu bereichern, sich schönen, geistig anregenden Themen, den Künsten oder dem Aufbau von persönlichen Zielen für das nächste Jahr zu widmen.

Dem Leser und der Leserin mag es an dieser Stelle vielleicht unpassend und geschmacklos erscheinen, einen Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu richten. Ich müsste mich und den Leser aber belügen, wenn ich anregen würde, sich möglichst nur mit eigenen Dingen zu beschäftigen und die Situation der Zeit auszublenden. Vielleicht versöhnt der Hinweis auf Goethes Zitat ein klein wenig, „das größte Glück und höchste Unglück seien nur kleine Abweichungen von dem Gewöhnlichen“. Und wir wissen ja aus Erfahrung, wie schnell uns „im Gewöhnlichen“ ein wenig Unfriede und Unstimmigkeit ereilt.

Willy Wimmer, ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär und CDU-Mitglied, schätze ich als Analyst der politischen Lage der neueren Geschichte sehr. Ich habe deshalb ein Buch in Bearbeitung, das er zusammen mit einem Co-Autor 2014 vorgelegt hat. Die Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzungen ist auch immer eine Geschichte der Hasardeure und der scheinbaren Ausweglosigkeiten. Was mir an Hand der internationalen Geschichte noch einmal klarer geworden ist, ist die Tatsache, dass es gerade diejenigen Situationen sind, die in ihrer Behandlung scheinbar ausweglos, oder - wie Merkel und inzwischen einige andere sagen - „alternativlos“ sind, die im Gegensatz dazu ganz offensichtlich und mit absoluter Sicherheit anders als vorgegeben gehandhabt werden müssten, um Schaden für den Bürger abzuwenden. Der Automatismus, die Etablierung einer einzigen Erzählung, die massenweise Für-Wahr-Haltung dieser, die täuschende Hoffnung, dieser eine Weg könne „die Lösung“ bringen, war und ist in solchen Situationen der typische Trugschluss, der meist erst im Nachhinein und nach viel Schaden bewusst wird.

Von dieser Feststellung ausgehend stellt sich aber die Frage, inwieweit ein Aufbegehren, eine Gegnerschaft und gegenseitige Abwertungen überhaupt ein Weg sein können, um dieser mit Kompromisslosigkeit voranschreitenden und in sich selbst abgeschlossenen Logik etwas entegen zu setzen. Gewalt erzeugt Gegengewalt, ob im Krieg oder bei gesellschaftlichen sowie zwischenmenschlichen Abwertungen, was auch eine Form der Gewalt ist. Die angebliche „Alternativlosigkeit“, die einmal in die Welt gesetzt ist, bringt automatisch bereits die nächsten einseitigen Erklärungsmodelle in die Taufe.

Als Individuum besitzen wir jedoch immer die Möglichkeit, unseren eigenen Weg zu gehen, eigene Schlussfolgerungen zu treffen, kreative Lösungen zu finden. Das gilt für kleine wie für große Aufgabenstellungen. Insofern kann die Zeit zwischen den Jahren auch eine Zeit der Orientierung, der Bestandsaufnahme, der neuen Ideen und gegenseitigen Anregung, sowie der Vertiefung in Sinnfragen sein. Wer sich in diesem Sinne austauschen will, soll sich gerne auch melden. Noch kann man sich in kleinem Maße treffen, telefonieren und über den virtuellen Weg austauschen.

Was ich mir für das nächste Jahr wirklich wünsche, ist nicht die gegenseitige, gesellschaftliche und politische bis wissenschaftliche Vormundschaft, sondern die aktive, kreative und verantwortliche Inangriffnahme gesellschaftlicher Themen, sowie die selbstbewusste Beteiligung an Politik, Wirtschaft und am Diskurs für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft durch unabhängige Individuen.

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